Regentropfen, Wind, Schwingungen, Einsturzgefahr – die Erasmusbrücke in Rotterdam

Wer schon einmal bei starkem Wind und Regen über die Erasmusbrücke in Rotterdam gelaufen ist, kennt das: Die Fußgänger laufen schräg, drehen das Gesicht vom Wind weg oder schauen zu Boden, sie halten ihre Taschen fest an den Körper gedrückt, die Fahrradfahrer schieben ihr Gefährt – und selbst die meisten Autofahrer drosseln das Tempo und müssen gegenlenken. Der Brücke selbst kann dieses unwirtliche Wetter nichts anhaben – denkt man. Doch das war aber schon mal anders …

Blick auf die Erasmusbrücke

Blick auf die Erasmusbrücke. Weitere Bilder am Seitenende!

Die Architekten Caroline Bos und Ben van Berkel entwarfen 1989 auf dem Papier die Brücke, die über 800 Meter lang werden sollte, mit einem fast 140 Meter hohen Pylon, einem Bauteil, das an einem oben abgewinkelten Teilstück die 40 Schrägseile hält. 1994 begann der Bau der Brücke, 1996 war sie fertiggestellt und im September war Königin Beatrix der Niederlande zur Eröffnung vor Ort. Doch schon drei Monate später wurden besorgniserregende Schwingungen festgestellt, die Nacharbeiten nötig machten, um einen Schaden oder gar einen Einsturz zu vermeiden.

Was war die Ursache? Klar war, dass die Erasmusbrücke durch die Lage, ca. 30 Kilometer von der Mündung der Wasserstraße in die Nordsee, Sturm und Sturmböen auszuhalten imstande sein musste. Problematisch schien alsbald das Zusammenspiel dieser Winde mit Regen. Da gab es die sogenannten Theorie der Regen-Wind induzierte Seilschwingungen, ausgehend von Beobachtungen an verschiedenen Brückenbauten. (Siehe dazu: Oliver Dreyer: Regen-Wind induzierte Seilschwingungen (…), 2004, S. 10 ff. [PDF], s. unten.)

Erste Vermutungen dazu gab es bereits in den 1970er Jahren, als an einigen Brücken unerwartet starke Schwingungen bei Regenwetter festgestellt wurden. Mitte der 1980er Jahre konnte dies genauer untersucht und erkannt werden. An der Meiko-Nishi Brücke in der japanischen Großstadt Nagoya stellten die zwei Forscher Y. Hikami und N. Shiraishi einen Zusammenhang zwischen den Schwingungen einzelner Bauteile, dem Wind und Regentropfen auf den ummantelten Seilen her und belegten dies durch Windkanalversuche und einzelne grundlegende Mechanismen.

Der zuvor erwähnte Ingenieur Oliver Dreyer zeigt auf, dass sich durch Rinnsale der Regentropfen veränderte Strömungsbedingungen und Druckverteilungen der Winde entwickeln – und daraus wiederum die Schwingungen. Auf den Seiten des Westdeutschen Rundfunks findet sich dazu am Beispiel der Erasmusbrücke ein PDF-Dokument der Wissenschaftssendung „Quarks & Co“, ein Skript zur Sendung „Stahl – kein altes Eisen“ aus dem Jahr 2005:

„Durch diese Rinnsale wird der Strömungsquerschnitt der Seile derart verändert, dass sie vom Wind zu Schwingungen angeregt werden können. Bei einer Bewegung des Seils ändert sich die Lage der Rinnsale, so dass es zu einer zyklischen Änderung der Strömungskräfte kommt. Das Seil kann so in Schwingungen mit einem Ausschlag von bis zu zwei Metern geraten, sowohl in Windrichtung als auch quer dazu.“ (S. 22, s. unten)

Laut einer neueren Untersuchung von Thomas Gilow (Parametererregte und Regen-Wind-induzierte Seilschwingungen, 2012, S. 15 [PDF], s. unten) gebe es zu solchen Aussagen noch kein Rechenmodell: Es könnten zwar „zu den einzelnen Parametern (…) grundsätzliche Aussagen zum Gefährdungspotenzial“ getroffen werden,  „aber ob und unter welchen genauen Umständen diese Bedingungen zu einem Aufschaukelprozess führen, ist noch nicht abschließend geklärt.“ Gilow führt einzelne Theoriemodelle der Regen-Wind induzierte Seilschwingungen auf und liefert einzelne Berechnungen zur Erasmusbrücke – um schließlich seine entwickelte nichtlineare Seiltheorie vorzustellen, die „auf den Lastfall Regen-Wind-induzierte Seilschwingungen“ anzuwenden sei und einfachere Berechnungen möglich machen sollen.

Abseits dieser wissenschaftlichen Ausführungen kann schließlich festgehalten werden, dass im Falle der Erasmusbrücke durch die Anbringung dynamischer Schwingungsdämpfer die Gefahr eines Einsturzes gebannt werden konnte. Und so können Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer auch künftig ohne Befürchtungen die Brücke passieren.

Benutzte Literatur:

  • Oliver Dreyer: Regen-Wind induzierte Seilschwingungen in laminarer und turbulenter Strömung. Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.). Fachbereich Bauingenieurwesen der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. Braunschweig 2004 (online unter: https://d-nb.info/974317950/34 [PDF], abgerufen am 19.05.2024).
  • Thomas Gilow: Parametererregte und Regen-Wind-induzierte Seilschwingungen. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor-Ingenieur. Universitat der Bundeswehr München – Fakultät fur Bauingenieur- und Vermessungswesen am Institut für Mechanik und Statik. München 2012 (online unter: https://athene-forschung.rz.unibw-muenchen.de/doc/90679/90679.pdf [PDF], abgerufen am 19.05.2024).
  • Quarks & Co: Stahl – kein altes Eisen – Harter Stoff für alle Fälle. Script zur WDR-Sendereihe. 2005 (online unter https://www.wdr.de/tv/applications/fernsehen/wissen/quarks/pdf/Q_Stahl.pdf, abgerufen am 19.05.2024).
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